10.05.2021

20 Minuten, in denen Fremde zu Vertrauten werden

Ein Mitarbeiter einer kirchlichen Essensausgabe erzählt, wie sich seine Arbeit und die Bedürfnisse seiner Gemeindemitglieder durch die Pandemie verändert haben.


Es ist Montagmorgen kurz vor zehn. Eine kleine Schlange von Menschen hat sich auf dem Vorplatz der Kirche der Wilhadi Gemeinde in Bremen-Walle gebildet. Es sind etwa 15 bis 20 Personen. Die Stimmung in der Gruppe ist entspannt. Hier und dort wird, unter Einhaltung des Mindestabstandes und mit der obligatorischen Maske im Gesicht, ein Schwätzchen gehalten. Auf den ersten Blick scheinen sie alle unterschiedlich zu sein, doch - wenn man genauer hinschaut - lässt sich eine Gemeinsamkeit erahnen.

Da ist zum Beispiel der große, schlanke, ältere Mann mit dem graumelierten Vollbart. Seine braune Lederjacke trägt er offen über einem dunklen Hemd. Die schwarze Cordhose ist ihm ein Stück zu kurz, sodass seine Knöchel zu sehen sind. Seine nackten Füße sind lediglich durch Sandalen vor dem kalten Pflaster geschützt. In einer Hand hält er einen kleinen Stoffbeutel.

Ein Stück weiter steht eine korpulente Frau mittleren Alters. Ihre langen braunen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Kleidung wirkt ordentlich, aber etwas spärlich für die kühle Jahreszeit. Sie stützt sich auf einen Rollator. Dort, wo sich üblicherweise ein kleiner Korb befindet, hat sie eine türkisfarbene Tragetasche befestigt. Und dieses kleine, unscheinbare Detail ist es, was sie alle verbindet. Denn jeder von ihnen hat eine Tragemöglichkeit dabei. Und sie alle warten darauf, dass jemand kommt und sie befüllt. So beschreibt Christoph Ziegler, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ev. Wilhadi Gemeinde in Bremen, eine typische Szene während einer Essensausgabe in Zeiten der Corona-Pandemie.

Um 10 Uhr öffnen sich die Türen

Rückblick. Für gewöhnlich findet die Lebensmittelausgabe der Wilhadi Gemeinde einmal wöchentlich statt. Jeden Mittwochmorgen öffnet sich pünktlich um 10 Uhr die grüne Eingangstür der Kirche. Ein mit Brot, Obst, Wurst, Käse und manchmal auch Fertiggerichten beladener Servierwagen, steht in der Mitte des Eingangsbereiches. Zwei Ehrenamtliche verteilen eifrig die am Tag zuvor besorgten Waren. Nach ungefähr 20 Minuten ist alles schon wieder vorbei.

Szenenwechsel. Christoph Ziegler lacht ein wenig verlegen während er erzählt, dass er eigentlich gelernter Maler und Lackierer ist und schon von klein auf in Walle lebt. Mit 15 Jahren wurde er in der Kirche der Wilhadi Gemeinde konfirmiert und ist ihr seitdem treu gebelieben. Denn neben seiner Selbstständigkeit als Raumausstatter und Bodenleger, ist er halbtags bei der Gemeinde angestellt. Darüber hinaus leistet er zahlreiche ehrenamtliche Stunden. Seine Hauptaufgaben sind eigentlich die Organisation von Veranstaltungen und kleinere Handwerksarbeiten. Bei der Essensausgabe hilft er nur vertretungsweise aus.

Corona-Pandemie verändert alles

Das ändert sich, als im Frühjahr 2020 das Corona-Virus auch in Deutschland ausbricht. Die Verunsicherung der sozialen Organisationen in Walle ist groß. „Viele andere Einrichtungen, die überwiegend warme Mahlzeiten ausgeben und Duschmöglichkeiten anbieten, haben sich erst einmal dazu entschieden zu schließen“, erinnert er sich. Der Bedarf an Lebensmittelausgaben sei deshalb leicht gestiegen. Ebenso die Zahl der Bedürftigen in seiner Gemeinde. Einige seien durch coronabedingte Kurzarbeit in einen finanziellen Engpass geraten. „Ich schätze, dass inzwischen gut ein Drittel unserer Besucher davon betroffen ist“, so der Ehrenamtliche. Besucher - damit meint er Obdachlose, Alleinerziehende, Hartz-IV-Empfänger*innen oder Rentner*innen. Und mittlerweile eben auch Menschen, die vor der Pandemie und der damit verbundenen Kurzarbeit, nicht auf soziale Leistungen angewiesen waren. „Den klassischen Bedürftigen gibt es nicht.“

Angebot erweitert

Nach einer Weile wenden sich mehrere Gemeindemitglieder an ihn und machen auf die problematische Versorgung mit Mahlzeiten und Lebensmitteln aufmerksam. Ziegler sucht das Gespräch mit seinen Kolleg*innen der Essensausgabe. Gemeinsam entscheiden sie, das Angebot von einmal auf dreimal wöchentlich aufzustocken.

Seitdem verteilen die sechs Ehrenamtlichen jeden Montag- und Mittwochvormittag um 10 Uhr auf dem Vorplatz der Kirche die dringend benötigten Lebensmittel. Das gleiche Angebot bieten sie Freitagvormittags an ihrem Gemeinde-Treffpunkt in der Überseestadt an. Die Arbeit ist fair aufgeteilt. Jeweils zwei Ehrenamtliche teilen sich eine Tagschicht. Den Einkauf der Lebensmittel übernehmen sie abwechselnd. Ansonsten hat sich an dem Prozedere der Ausgabe nicht viel verändert, außer dass sie vollständig nach draußen verlagert wurde. „Egal ob Wind oder Wetter, die Essensausgabe findet verlässlich statt“, macht der Bremer deutlich. Außerdem müssen sich alle an die Maskenpflicht sowie die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln halten.

Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und sozialen Kontakten

Für das leibliche Wohl ist damit zwar gesorgt, Christoph Ziegler beobachtet aber bereits einen neuen Bedarf bei seinen Besucher*innen: das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und sozialen Kontakten. „Für die meisten ist die Essensausgabe so etwas wie das Highlight des Tages. Durch Corona sind fast alle Veranstaltungen unserer Gemeinde weggebrochen. Damit haben viele auch einen Großteil ihrer sozialen Kontakte eingebüßt. Sie suchen deshalb vermehrt das Gespräch mit uns“, erklärt der 37-Jährige. Der Redebedarf sei oft jedoch so groß, dass seine Kolleg*innen und er diesen kaum decken könnten – trotz Unterstützung durch den Pastor. Seine größte Hoffnung sei deshalb, dass er bald wieder Veranstaltungen für seine Gemeindemitglieder organisieren kann. Dass er dafür täglich fast zwölf Stunden arbeitet, ist für ihn selbstverständlich. „Es macht mir einfach Spaß, anderen zu helfen und ihnen damit eine Freude zu bereiten“, erklärt er mit einem Lächeln.

Spenden für die Corona-Nothilfe für obdachlose und arme Menschen in Bremen

Die Corona-Pandemie betrifft uns alle und stellt uns auch in Bremen vor große Herausforderungen. Jetzt ist es wichtig, in Armut lebende Bürgerinnen und Bürger nicht allein zu lassen - insbesondere wohnungslose Menschen, denn sie können sich nicht in die eigene Wohnung zurückziehen und dort Schutz finden. Durch Spenden an die Corona-Nothilfe der Diakonie Bremen konnten bereits viele Sofortmaßnahmen für obdachlose und notleidende arme Menschen in Bremen während der Corona-Krise umgesetzt werden. Auch die Kirchencafés wurden in ihrer wichtigen Arbeit unterstützt.

Hier für die Corona-Nothilfe für Wohnungslose und arme Menschen spenden!

Text: Jacqueline Stöppel

Mehr zur Arbeit der Kirchencafés finden Sie in unserem Magazin:


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