Studie zum Adolfinenheim auf Borkum beleuchtet die Kinderverschickung
Buch von Gerda Engelbracht und Achim Tischer stellt Perspektive der Kinder in den Mittelpunkt - Rolle der Diakonissen
„Zwischen Erholung und Zwang. Kinderverschickungen in das Adolfinenheim Borkum (1921-1996)“ lautet der Titel einer Studie, die die Bremische Evangelische Kirche und Diakonie Bremen am Dienstag, 23. Januar, vorgestellt haben. Mit dem Buch, das im Kellner Verlag erschienen ist, legen die Autoren Gerda Engelbracht und Achim Tischer eine aufwendige Dokumentation zu einem lange Zeit verschwiegenen Thema vor.
"Wir übernehmen die Verantwortung für die Aufarbeitung"
75 Jahre gab es das Adolfinenheim auf der Nordseeinsel Borkum. Geleitet wurde es bis 1980 von Diakonissen aus dem Diakonissenmutterhaus in Bremen. Das knapp 140 umfassende Buch zeigt, dass diese ein strenges und emotionsloses Regiment führten. „Wir übernehmen die Verantwortung für die Aufarbeitung und bitten die Betroffenen um Verzeihung für das, was sie erleben mussten“, betont Dr. Jutta Schmidt, stellvertretende Leiterin der Kirchenkanzlei. Im Jahr 2019 haben Diakonie und Kirche in Bremen durch einen Betroffenen von der Verbindung der Bremer Diakonissen zum Adolfinenheim erfahren und dann die Aufarbeitung begonnen.
Rund 90.000 Mädchen und Jungen zwischen zwei und 14 Jahren wurden aus vielen Teilen Deutschlands zur Erholung oder Therapie nach Borkum geschickt. Ziel der Kur war, die Kinder – weil sie angeblich zu dünn, zu blass oder zu dick waren – „aufzupäppeln“. Für die Kinder, gerade, wenn sie noch sehr jung waren, endete die Kur oftmals katastrophal, erlebten sie dort doch isoliert und von der Familie getrennt eine lieblose Behandlung, Angst und gewaltsamen Zwang.
"Insgesamt gab es 1000 solcher Heime"
Achim Tischer und Gerda Engelbracht bringen in ihrer Studie ganz bewusst die Sicht der Betroffenen mit ein. Über Aufrufe in der Presse haben sie mit vielen Menschen sprechen können, die seinerzeit ins Adolfinenheim verschickt worden sind. „Insgesamt gab es in Deutschland rund 1000 solcher Heime“, so Achim Tischer. Die Geschichte dieses „Verschickungstrends“ sei noch lange nicht aufgearbeitet. Mit diesem Buch sei ein Anfang gemacht. „Wir möchten andere ermutigen, dies auch zu tun. Eigentlich sollte es eine solche Studie für jedes dieser Heime geben“, so Dr. Jutta Schmidt.
Über das, was viele Kinder auf Borkum erlebten, sei eine „Schweigeschicht“ gelegt worden, hat Achim Tischer immer wieder festgestellt. „Dass dieses Schweigen jetzt gebrochen worden ist, ist ein großer Verdienst der Studie“, sagt Diakonie-Vorständin Karin Altenfelder.
Das Diakonissen-Mutterhaus wird auf die Betroffenen zugehen, teilte die Leitende Schwester, Ulrike Kothe, bei der Buchvorstellung mit – wenn diese es wünschen.