02.03.2020

Rückblick auf fast 50 Jahre Partnerschaft

Manfred Schulken erinnert sich an die Anfänge der Partnerschaft mit Rumänien

 

Begonnen hat alles mit Überschwemmungen in der Region Siebenbürgen in Rumänien im Jahr 1972, erinnert sich Manfred Schulken. Er sitzt in einem brauen Sessel in seinem Wohnzimmer in Bremerhaven und schaut sich Fotos vom Beginn der Partnerschaft zwischen dem Diakonischen Werk Bremen e.V. und der siebenbürgischen Gemeinde in Schäßburg an. Er erinnert sich noch gut, besonders an die ersten offiziellen Transporte, die es nach 1989 gab. Damals war er Landesdiakoniepastor und Geschäftsführer des Diakonsichen Werks Bremen e.V. und zusammen mit seinen Mitarbeitenden maßgeblich an dem Wachsen der Partnerschaft mit der Gemeinde der Stadt Schäßburg beteiligt.

Willkommens-Schild erinnert an bessere Zeiten

Begonnen hat die Partnerschaft, die bis heute besteht, nicht mit der Gemeinde der Stadt Schäßburg, sondern mit den Diaspora-Gemeinden – also den rund 40 Gemeinden auf den Dörfern rund um die Stadt Schäßburg. Diese deutschsprachigen evangelischen Gemeinden sollte das Diakonische Werk Bremen e.V. damals partnerschaftlich begleiten. Zu diesen Orten gehörte auch Klosdorf (Cloașterf) – ein Ort, an den sich Manfred Schulken noch ganz besonders erinnert, denn dort gab es durch die Auswanderungen Ende der 1970er Jahre nur noch eine sehr kleine Gemeinde und keinen Pastoren mehr. Die Aufsicht über die Kirche in Klosdorf hatte die Kirchenmutter, die schließlich nach der Wende Anfang der 1990er Jahre darum bat, wenigstens die wertvollen Kirchentruhen zu retten. So machte sich das Diakonische Werk Bremen e.V. mit dem Diakonie-Bus nach Rumänien auf, um die Truhen nach Schäßburg zu bringen. Mit dabei war auch Pastor Grau, der Diaspora- und später Stadtpfarrer aus Schäßburg, der die Noten aus dem Notenschrank persönlich barg, um sie zu bewahren, wie Manfred Schulken erzählt. „Ich erinnere mich noch an das Schild mit der Aufschrift Willkommen, das in der Kirche stand und von besseren Zeiten zeugte“, sagt Manfred Schulken etwas wehmütig.

Die Gemeinden wurden kleiner

Die große Auswanderungswelle in den 70er und 80er Jahren von deutschstämmigen Siebenbürger Sachsen führte dazu, dass die Gemeinden zwar immer kleiner wurden, die Pfarrstellen aber nicht ganz aufgegeben werden konnten. Auf den Dörfern fehlte es an allem zu dieser Zeit – ob Mehl, Zucker oder Butter. Die Versorgung fand fast nur durch den eigenen Garten statt. „Die Versorgungslage war miserabel. Kaufen konnte man so gut wie nichts. Das Schwein der Familie war lebensnotwendig.“ Also wurden in Bremen Pakete gepackt und verschickt – voller Grundnahrungsmittel für die Partner auf den Dörfern in Siebenbürgen. „Natürlich reichte das zur Versorgung nicht aus, aber es war ein Anfang.“ Auch, wenn nach der Zollkontrolle nicht alles bei den Menschen ankam, war es dennoch eine Hilfe für die in Armut lebenden Siebenbürger Sachsen.

Mit Westgeld Holz kaufen

Damals zuständig für die Partnerschaft war eine Mitarbeiterin des Diakonischen Werks Bremen e.V., Frau Diers, die viel Herz in die Partnerschaft steckte und oft zusammen mit den Kollegen vom Diakonischen Werk Hamburg (die damals für die Stadt Schäßburg partnerschaftlich zuständig waren) nach Rumänien reiste. „Frau Diers kannte die Menschen in Rumänien sehr gut und wusste genau, was sie brauchten.“ So habe man heimlich Westgeld nach Rumänien gebracht, um die Partner beim Heizen zu unterstützen. „Mit Westgeld war eine Menge Holz zu kaufen, aber die Übergabe musste heimlich hinter dem Altar passieren, damit die Polizei nicht aufmerksam wurde.“ Die Überwachung sei ohnehin in einem Ausmaß gewesen, dass man sich kaum vorstellen könne. „Wer Besuch aus dem Westen hatte, musste am nächsten Tag bei der Polizei davon berichten.“ Pastor Grau zum Beispiel habe den Verdacht gehabt, eine Wanze wäre in seinem Telefon eingebaut und er würde abgehört werden. Vielleicht war dies einer der Gründe, warum er später selbst auswanderte.

Gemeinden auf sich gestellt

Etwas verwundert sei Manfred Schulken aber schon gewesen, dass auch viele Pastoren Rumänien damals verließen. „Eigentlich sollten die Pastoren die letzten sein, die aus der Gemeinde das Land verlassen“, mahnt er. Dennoch standen die Gemeinden immer wieder vor der Situation, auf sich selbst gestellt zu sein. „Als Pastor Grau ging, gab es eine lange Vakanz in Schäßburg“, erinnert sich Manfred Schulken. Der Kurator und der Kirchenvater seien damals für alles zuständig gewesen. Es habe zwar einen Domprediger aus Lübeck gegeben, der übergangsweise die Gemeinde in der Stadt Schäßburg geleitet habe, doch die Suche nach einem festen Pastoren ging weiter. „Schließlich waren der Kurator, Kirchenvater und ich gemeinsam beim Bischoff und nach einem langen Gespräch entstand dann die Idee einen jungen Vikar nach Schäßburg zu entsenden.“ Dieser Vikar, Bruno Fröhlich, wurde nach dem Vikariat dann auch zum Stadtpfarrer und Dechant für den Sprengel Schäßburg gewählt und ist bis heute im Amt.

Verbindungen zur Stadt Schäßburg

Neben den Pastoren sind aber auch viele Gemeindeglieder nach und nach ausgewandert, besonders nach dem Tod von Diktator Nicolae Ceausescu 1989. „Quasi über Nacht war die Grenze auf und es kam der große Aufbruch.“ Die Gemeinden auf den Dörfern, für die das Diakonische Werk Bremen e.V. partnerschaftlich zuständig war, wurden immer kleiner. „Und dann standen wir vor der Frage: Was macht das Diakonische Werk?“ In Absprache mit der Hamburger Diakonie übernahm das Diakonische Werk Bremen e.V. die Partnerschaft zur Gemeinde der Stadt Schäßburg und sagte zu, sich um die Dorf-Gemeinden weiter zu kümmern, soweit das möglich war.

Erster offizieller Hilf-Transport

„Alles Begann an Heilig Abend als ich aus Rumänien angerufen wurde und von einem Blutbad hören musste“, erinnert sich Manfred Schulken. Daraufhin habe er sich an die Medien in Bremen gewandt, die noch an Heilig Abend eine Ausstrahlung machten mit dem Hinweis, dass Medikamenten-Spenden für Rumänien beim Diakonischen Werk abgegeben werden könnten. „Wir wurden regelrecht mit Spenden überflutet.“ Herr Siedler, der Nachfolger von Frau Diers, übernahm das Sortieren zusammen mit seiner Frau und vielen Ehrenamtlichen und auch Manfred Schulkens Mutter packte mit an. Das war die Geburtsstunde des Packkreises, der noch Jahre später für Schäßburg sammelt.

Insgesamt kamen so mehrere LKWs voll Kleidung, Medikamenten und Grundnahrungsmitteln zusammen, die zum Jahreswechsel 1989/1990 in Richtung Schäßburg abrollten. Dies war der erste große offizielle Hilfstransport – vor dem Tod von Diktator Nicolae Ceausescu war diese institutionelle Hilfe nicht möglich gewesen. „Auf einmal war alles viel einfacher, auch mit den Grenzbeamten, die sich plötzlich fotografieren ließen. Das wäre vorher undenkbar gewesen.“

Das Lukas-Spital in Lasseln

Da die Schäßburger Gemeinde mit den LKW-Ladungen überfordert gewesen wäre – da es weder eine Lagermöglichkeit noch eine gute Zufahrt „auf die Burg“ gab – wurden die LKW-Ladungen in den Ort Lasseln gebracht, von wo aus sie verteilt werden sollten. Das dort aus einer Schule entstandene Lukas-Spital gibt es heute noch, allerdings in eigenständiger Trägerschaft. Damals war auch das Diakonische Werk Bremen e.V. an der Entstehung des Spitals beteiligt. Manfred Schulken und sein Nachfolger Herr Wiesenbach waren auch im Vorstand des Spitals. Dort entstanden dann auch eine Apotheke und ein Shop, wo die Spenden erworben werden konnten. „Das Projekt in Lasseln war sehr wichtig für uns, eben auch, weil dort die Spenden-Lieferungen abgewickelt werden konnten.“

Pflegenest in Schäßburg

Zeitgleich zur Entstehung des Lukas-Spitals entwickelte sich auch eine soziale Infrastruktur in Schäßburg. Anfang der 1990er Jahre war die sozialdiakonische Arbeit in Rumänien noch weitgehend unbekannt – und so wurde eine Schwester Antje Rothwell vom Diakonissenmutterhaus in Bremen-Gröpelingen nach Schäßburg als Gemeindeschwester entsendet und war dort von 1993 bis 1997 aktiv. Während dieser Zeit entstanden unter anderem das kleine Seniorenheim „Pflegenest“, eine Waschküche, eine Kleiderkammer und die ambulante Pflege auf den Dörfern rund um Schäßburg. Viele dieser Angebote gibt es noch heute. So auch das Pflegenest, das im September 2019 sein 25-jähriges Bestehen feierte.

Renovierung des Gemeindehauses

Maßgeblich beteiligt war das Diakonische Werk Bremen e.V. auch an der umfangreichen Renovierung des Gemeindehauses. „Es war eines der ersten Projekte nach der Grenzöffnung“, erinnert sich Manfred Schulken. Er habe den Architekten Herrn Westphal angesprochen, der in seiner Nachbarschaft lebte. Gemeinsam reisten sie 1991 nach Schäßburg, um sich das Gemeindehaus anzuschauen. „Der Architekt sagte, dass man es eigentlich abreißen müsste.“ Und trotzdem begannen die umfangreichen Renovierungen – vom Dach bis zum Keller. Eine Tischlerei aus Bad Bedakesa stellte die Türen und Fenster. „Wie das alles auf die Burg kam, weiß ich gar nicht. Da mussten alle mitanpacken. LKWs konnten da ja nicht hochfahren.“ Die Tischlerei sei sogar extra nochmal nach Rumänien gefahren, um beim Einbau der Tüten und Fenster zu helfen als klar wurde, dass die Handwerker vor Ort damit Schwierigkeiten hatten. „Berechnet haben die uns das nicht“, lobt Manfred Schulken.  Das Gemeindehaus sei das erste renovierte Gebäude in Schäßburg gewesen – mit westlichem Flair.

Fast 50 Jahre Partnerschaft

Manfred Schulken könnte noch viel mehr über die Anfänge der Partnerschaft mit den Siebenbürger Sachsen erzählen, die schon seit fast 50 Jahren besteht. Vor allem, so betont er, seien es immer auch die persönlichen Kontakte gewesen, die die Partnerschaft hätten aufblühen lassen und die bis heute gut gepflegt werden. Dankbar ist der ehemalige Landesdiakoniepastor allen Spenderinnen und Spendern, die seit vielen Jahren die Partner in Rumänien mit Sach- und Geldspenden unterstützen. „Und ohne meine engagierten Mitarbeitenden, wie Frau Diers oder Herrn Siedler, wäre es undenkbar gewesen, die Partnerschaft so gut zum Laufen zu bringen.“

Text: Regina Bukowski

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