23.11.2021

Rückblick auf sechs Jahre

Aktuelles aus dem Kunst- und Integrationsprojekt "Der Flug des Stiftes"


Den Gefühlen künstlerisch Ausdruck verleihen, Erlebtes verarbeiten, Talente entdecken, kulturelle Begegnung - diese Aspekte bietet die Künstlerin Jule Stegemann-Trede zusammen mit Silke Behrens ehrenamtlich den jungen Menschen mit unserem Kunst- und Integrationsprojekt. An zwei Terminen pro Woche öffnet sie ihr Atelier „ Jules-Art“ für das gemeinsame Malen, Zusammenkommen und Deutsch sprechen. Inzwischen wird das Angebot von mehr als 40 Teilnehmenden genutzt - junge Männer und Frauen aus Bremen sowie aus Afghanistan, Syrien oder anderen Ländern, die seit 2015 in Bremen angekommen sind.

Hier mehr über das Projekt erfahren!

Talent im Kunstprojekt entdeckt

A. kam als männlicher, minderjähriger Geflüchteter im November 2015 zum Kunst- und Integrationsprojekt, damals noch in der Turnhalle am Borgfelder Saatland. Er war somit einer der Teilnehmer der ersten Stunde. In Afghanistan hatte er etwas Englisch gelernt und half deshalb gerne beim Übersetzen im Projekt. Das half ihm und auch den anderen Teilnehmer*innen miteinander in Kontakt zu kommen. Zu Beginn des Projekts hat A. viel gezeichnet. Seine Motive waren gekrümmte Waffenläufe, zarte Vögel in Käfigen, gebrochene Herzen. Später im Atelier - mit der Möglichkeit sich großformatig, farbig auszudrücken - hat er malerisch seine Flucht thematisiert, z.B. die Rückenansicht eines Jungen mit Rucksack, der vor der Kulisse eines endlos erscheinenden Weges zu stehen scheint. Die Farbigkeit hat er intuitiv - kalt- gewählt. "Er hat uns immer wieder zum Staunen gebracht, weil er sich so mutig auf die Form der Ausdrucksmalerei eingelassen hat. Mutig, weil er so offen seine Gedanken gemalt hat. Er hat den Malkurs, das Kunstprojekt mit vorangetrieben, weil er bis heute dabei geblieben ist und die anderen Teilnehmer motiviert hat, uns zu vertrauen und sich auf das Malen einzulassen", sagt Jule Stegemann-Trede, die Projektleiterin und Künstlerin. A. hatte keine Kunst-Förderung in seiner Heimat erhalten und sein Talent erst in dem Kunstprojekt entdeckt. Mit seinem innewohnenden starken Leistungswillen, sich stets verbessern zu können, hat er eindrucksvolle Bilder geschaffen, die bereits bei mehreren Ausstellungen des Projekts zu sehen waren.  Im Jahr 2021 hat er sein Abitur mit einer Note 1,6 gemacht und studiert jetzt an der Uni-Bremen Informatik. Sein größtes Interesse gilt aber der Astrophysik.

Mit Ausdauer zur Malerei gefunden

H. kam 2015 alleine aus seiner Heimat Latakia/ Syrien nach Bremen und lernte das Kunst- und Integrationsprojekt in der Borgfelder Turnhalle im Frühjahr 2016 kennen. Für ihn, als sehr behütet aufgewachsenen Jungen, war die Flucht ein einziges Trauma. Als einziger Geflüchteter in seiner Klasse auf der Waldorf-Schule fand er sich immer wieder im Rechtfertigen und Erklären seiner Herkunft gegenüber seinen Mitschüler*innen wieder - hier gab es auch Konflikte. Davon berichtete er im Projekt - und bekam von den anderen Teilnehmer*innen sehr viel Untertsützung. Auch lernte er so schnell, sich in der deutschen Sprache auszudrücken.
Sein Traum war es - wie einige seiner Familienmitglieder - im kreativen, kunsthandwerklichen Bereich zu arbeiten. Sein kulturelles, künstlerisches Verständnis ist eher konservativ, seine Ansprüche sind sehr hoch. "Bei den ersten Besuchen des Kunst- und Integrationsprojektes hat er keinen geraden Strich zeichnen, bzw eine vorgezeichnete Fläche ausmalen können", erinnert sich Jule Stegemann-Trede. Doch im Laufe der Zeit, mit bewundernswerter Ausdauer und einigen Nachtschichten, hat er seinen Ausdruck in der Malerei gefunden. Heute können viele von ihm gemalte Blumensträuße in Vasen sowie Gebäude und Gassen aus syrischen Altstädten bestaunt werden. "Vielleicht schafft er es wirklich, eines Tages ein Architekt mit eigenem Büro zu werden? Bisher hat er uns alle immer wieder überraschen können", sagt die Künstlerin.
Von der Waldorff-Schule ist er mittlerweile abgegangen und macht jetzt seinen mittleren Schulabschluss auf der Erwachsenenschule. Dort erzielt er endlich gute Noten und sieht, was er schon alles geschafft hat.
H. ist immer beim Malen dabei - das Atelier ist sein zweites Zuhause.

Eine fürsorgliche Netzwerkerin

S. kam mit der Familie 2015 aus Syrien nach Bremen und hat das Projekt über einen Kontakt zum Lagerhaus kennengelernt. Sie war eines der ersten Teilnehmerinnen und ist bis heute beim Projekt dabei. "Als die ersten Teilnehmerinnen dazu kamen, sind auch neue Themen im Atelier aufgekommen - die Rolle der Frau in islamischen Ländern, freie Partnerwahl, Liebeskummer und vieles mehr", erinnert sich Jule Stegemann-Trede. S. Ist eine fürsorgliche Netzwerkerin - organisiert neben den festen Projekttterminen treffen und denkt dabei stest daran niemanden auszuschließen. "Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir uns eine Malkursfamilie nennen", so die Projektleiterin. Über ihr Engagement im Verein "Flüchtling für Flüchtling" hat auch die Malgruppe Kontakt zu dieser Initiative bekommen. Einige Teilnehmer*innen haben in deren Räumlichkeiten Bilder ausgestellt oder Plakate für Veranstaltungen angefertigt.
In Damaskus hatte S. bereits einen Studienplatz für Rechtswissenschaften. Als sie in Bremen ankam besuchte sie Sprachkurse und absolvierte die C1-Prüfung erfolgreich. Sie macht ihren Führereschein und im nächsten Jahr vollendet sie ihre Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Zuhause hat sie sich ein kleines Atelier eingerichtet - für die Tage, an denen sie es nicht rechtzeitig zum Malkurs schafft.

Auf Spenden angewiesen

Für dieses ehrenamtlich organisierte Projekt bitten wir um Spenden, für die Kosten zum Beispiel für die Malutensilien oder die Ateliermiete.
Unterstützen Sie jetzt diese wichtige Arbeit mit einer Spende!   
IBAN: DE66 5206 0410 0006 4075 10   
Stichwort: Flug des Stiftes

Jetzt direkt online spenden per Paypal oder Kreditkarte

Text: Jule Stegemann-Trede

Mehr zum Thema Flucht und Integration finden Sie in unserem Magazin:


Kontakt für Rückfragen: