21. Februar 2023

„Obdachlose sind kein Störfaktor, sondern ein Teil der Gesellschaft“

Diakonie Bremen und das Aktionsbündnis "Menschenrecht auf Wohnen" laden zu Pressegespräch zum Thema Wohnungslosigkeit ein

 

In einem gemeinsamen Pressegespräch haben die Diakonie Bremen und das Aktionsbündnis „Menschenrecht auf Wohnen“ auf die Situation der Wohnungslosen in Bremen aufmerksam gemacht. Wenn die europäische Verpflichtung, bis 2030 die Obdachlosigkeit abzuschaffen, in Bremen eingelöst werden soll, müsse schnellstens etwas passieren. Dazu legten die Veranstalter einen Sieben-Punkte-Sofortplan vor.

Neben Lebensträumen fehen oftmals Papiere

Karin Altenfelder, Vorständin des Diakonischen Werkes Bremen, begrüßte alle Gesprächspersonen, die ihrer Einladung gefolgt waren. „Es gibt in Bremen viele Angebote für Wohnungslose und auch sehr viele Menschen, die sich hier engagieren. Aber was braucht es darüber hinaus, damit wir Obdachlosigkeit überwinden? Wie können wir die verschiedenen Initiativen weiter verzahnen?“, fragte die Landesdiakoniepastorin.

Für Harald Schröder vom Aktionsbündnis ist klar: „In Bremen geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.“ Schröder, der sich jahrelang als aufsuchender Seelsorger um die Bedürfnisse Obdachloser in Bremen gekümmert hat und heute bei Housing First aktiv ist, stellte zu Beginn als kurzen Abriss die Schicksale mehrerer Obdachloser vor.
Ein Mann, der seit fünf Jahren ohne eigene Wohnung lebt, ist Markus Urban. Er empfiehlt, erst einmal einen Schritt zurückzugehen. „Viele Obdachlose haben x-mal versucht, eine Wohnung zu bekommen und sind gescheitert.“ Die Menschen müssten zunächst aufgebaut werden, bevor man diese Sache angehen können. Meist fehlten neben den Lebensträumen auch die Papiere – „und es ist abenteuerlich, was man tun muss, um diese zu bekommen“. Für ihn geht es nur mit Integrationslotsen.

Des Weiteren stellte Urban die besonders prekäre Lage der wohnungslosen Frauen dar, die alle Formen der Gewalt am eigenen Leib zu spüren bekommen. „Es gibt in Bremen Frauen auf der Straße, die sich verstecken, die mit keinem Menschen mehr reden.“

Lebenserwartung auf der Straße beträgt nur 50 Jahre

Georg Kückelmann, Internist mit Hausarztpraxis in Hemelingen, engagiert sich seit zwei Jahrzehnten ehrenamtlich im Verein zur Förderung der medizinischen Versorgung Obdachloser im Land Bremen. „Zu uns kommen Menschen, die das Regelsystem nicht oder kaum in Anspruch nehmen.“ An drei Standorten bietet der Verein eine Basisversorgung an. „Für den eigenen Körper haben diese Patienten kein Verständnis mehr“, sagt der Arzt. Cholesterinwerte seien egal, wenn man dringend einen Schlafplatz suche. Krankheiten träten so früher auf und seien stärker ausgeprägt. „Die Lebenserwartung auf der Straße beträgt 50 Jahre.“ Er prangerte den großen Mangel an psychiatrischer Behandlung an und richtete das Augenmerk auf die EU-Ausländer unter den Obdachlosen: Unter ihnen sei die Verelendung am größten.

Das Projekt Housing First war bei diesem Gespräch durch die Leiterin Anne Blankemeyer vertreten. Sie berichtete, dass es 36 Teilnehmende gebe. 28 seien mit Wohnraum versorgt. Housing First könne auf ein gutes Angebot an Wohnungen zurückgreifen.

Katharina Kähler, beim Verein für Innere Mission für die Wohnungshilfe verantwortlich, betonte: „Obdachlose sind kein Störfaktor, sondern ein Teil der Gesellschaft.“ Es gebe in Bremen gute Ideen und Möglichkeiten, aber nichts davon sei genug.

Joachim „Barlo“ Barloschky vom Aktionsbündnis brachte es auf den Punkt: „Ohne Geld wird das Problem nicht gelöst werden.“ Wohnungen seien eine Ware, mit der Rendite gemacht werden solle.

Sieben-Punkte-Sofortplan

In der Presse-Erklärung haben Diakonie und Aktionsbündnis einen Sieben-Punkte-Sofortplan veröffentlicht:

  1. Warme und sichere Tages- und Nachtaufenthalte, in die Obdachlose während des Winters freizugänglich einkehren können – aber auch zu allen anderen Jahreszeiten. Für obdachlose Mädchen und Frauen braucht es eigene, sichere Einkehrmöglichkeiten;
  2. Akzeptanzräume, Aufenthaltsplätze, an denen Obdachlose sich treffen können;
  3. Einrichtung von begleiteten Gepäckaufbewahrungsmöglichkeiten;
  4. Küchen sowie Waschmaschinencenter, in denen Obdachlose selber Mahlzeiten zubereiten und waschen können;
  5. Einrichtung eines ServiceBüros, in dem Obdachlose Dokumente und Geld aufbewahren, telefonieren, Mails schreiben und empfangen, ärztliche und behördliche Termine vereinbaren, Bettelkleingeld wechseln und Geld überweisen können;
  6. Gewährleistung des Menschenrechtes auf freizugängliches Trinkwasser und Sanitärversorgung
  7. Aktives Zugehen auf Obdachlose durch zusätzliche Streetworker, die den Obdachlosen koordiniert Zugang zu den Fachstellen wie das Amt für Soziale Dienste, die Zentrale Fachstelle Wohnen, das BürgerServiceCenter sowie das Jobcenter verschaffen. Außerdem braucht es aufsuchende Hilfe durch Menschen, die medizinische Versorgung und psychosoziale Hilfen anbieten.

 

Text: Ute Schröder

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